Samstag, 5. Dezember 2015

Brief an dich

Lieber Lucas!

Am Donnerstag war ich mit deinem Papa bei einer Psychologin. Ich wusste die ganze Zeit nicht ob ich wirklich hingehen sollte. In der Vergangenheit hatte ich mit dieser Art von Menschen so ein paar Probleme. Dein Papa hat mich nicht unter Druck gesetzt und ich habe die Entscheidung wirklich bis kurz vor den Termin vor mich hergeschoben. Ich hatte Angst, dass es alles wieder so richtig tief bei mir einschneitet... alles wieder so präsent ist... man mir wieder sagt, dass man mir nicht helfen könnte und ich ein Fall für den Frauenarzt sei. Ich plötzlich mit all meiner Sehnsucht und Schmerz wegen dir wieder völlig alleine da stehen würde. Ja ich hatte Angst vor dem Unbekannten!
Wäre es sinnvoll lieber weiter alleine versuchen irgendwie mit deinem Tod klar zu kommen? Oder wäre es besser sich Hilfe zu suchen? Gibt es ein richtig oder falsch in dieser Situation? Gibt es ein sinnvoller? Ich bin zu keinen eindeutigen Entschluss gekommen. Ich bin einfach mit und habe insgeheim gehofft, dass man mich nicht anspricht. Klar dumm wenn man sich Hilfe erwünscht. Aber ich dachte in erster Linie würde es um deinen Papa gehen. Doch das Blatt wendete sich. Plötzlich stand ich im Mittelpunkt ohne, dass ich es eigendlich wollte. Ich saß vor der Psychologin und erzählte... und erzählte. Im Hals wieder dieser gemeine Kloß der quasie die Tränen am ankündigt war. Wärend des erzählen überkamen mich die Tränen. Man reichte mir ein Taschentuch und dein Papa reichte mir seine Hand... streichelte mit dem Daumen immer wieder ganz sachte über meinen Handrücken.
Im Gespräch stellte sie dann fest, dass ich umbedingt auf meinen Körper hören sollte. Wenn mein Gefühl mir "NEIN!" sagt, dann soll ich dies mir auch zu gestehen. Ich muss nicht zu allem und jeden "JA!" sagen, weil man es von mir erwartet... weil man es nicht anders von mir kennt. Wenn ich was nicht will dann ist das so... und alle haben das zu akzeptieren.
Ich soll das "NEIN-Sagen!" üben. Nur wie macht man das? Bis jetzt habe ich immer nur gesagt, dass es kein Problem ist dies oder jenes zu tun wenn man es von mir wollte. Ich lasse mich ständig überrumpeln. Ich mache das was man von mir erwartet. Mache für alle immer damit sie glücklich und zufrieden sind. Doch ich stehe hinten an. Ich vergesse mich. Was dann wiederum diese innerliche Wut und Unzufriedenheit auslöst. In mir ist so eine große Wut die ich kaum in Worte fassen kann. Ich fühle mich ausgenutzt, übergangen, ausgeschlossen, ausgenutzt, alleine, unverstanden und hin und wieder alleine. Ich weiß, dass ich viele Menschen um mich habe mein kleiner Sternenprinz... ganz nah ist immer dein Papa. Aber warum fühle ich mich dann trotzdem so?! Die Psychologin meinte gerade negative Gefühle stauen sich an bis alles herausbricht.. man im wahrsten Sinne explodiert. Bis jetzt bin ich noch nicht explodiert. Würde es aber gerne mal tun in der Hoffnung, dass ich mich dann etwas leichter fühle. Stattdesen bin ich nach wie vor immer noch am freundlichen nicken. Meine Mimik sagt sehr oft was anders als meine Bauchstimme und die Kopfstimme. Und da sind wir beim nächsten Problem. Ich komme einfach nicht zur Ruhe. Ständig sind da diese Stimmen. Nein deine Mama ist jetzt nicht verückt geworden oder so! Ich denke die Stimmen sind die Sehnsucht, der Schmerz, das schlechte Gewissen...Ja ich habe ein schlechtes Gewissen. Ich frage mich warum ich im März nicht auf mein Bauchgefühl gehört habe?!?! Hätte man dich dann retten können??? Auf mein Bauchgefühl konnte ich mich doch sehr oft drauf verlassen. Die Psychologin meinte, dass der Bauch oft schon viiiiel früher Bescheid weiß bevor das Hirn einsetzt. Also habe ich doch irgendwie Schuld? Aber sie sagte, dass wir es nicht besser wussten. Wir hätten nix anders machen können. Als wir wussten was los ist war es doch schon zu spät. Es ging zu schnell. Ich soll meine Schuldgefühle ablegen... ich soll den Stimmen im Kopf nicht zu hören. Wenn sie da sind soll ich mich ablenken. Was ich tagsüber ganz gut hinbekomme. Die letzten Wochen habe ich wahnsinnig viel genäht. Doch Nachts kommen sie mich besuchen und halten mich wach. Ich schreie ihnen dann schon zu, dass sie mich in Ruhe lassen sollen... dass ich schlafen will.. sie sollen einfach still sein. Aber sie tun es nicht. Laut Psychologin soll ich es mal mit Atemübungen versuchen.. mich auf was anders konzentrieren. Erst wenn man Dingen keine Aufmerksamkeit mehr schenkt verschwinden sie.
Ach mein kleiner Sternenprinz! Das klingt immer alles so einfach. Doch das umsetzen klappt nicht mal eben. Es braucht Zeit, Übung und viel Geduld.

Im Gepräch stellte sich heraus, dass dein Papa die Woche zuvor als ich mit deiner Oma unterwegs war ihr genau das selbe erzählt hat. Dein Papa geht es ganz genau so wie mir. So verschieden sind dann Mann und Frau wohl doch nicht. Oder ist es nur bei deinem Papa und mir? Schließlich sind wir uns auch vom Erbgut zu ähnlich. Egal wie.. wir beide leiden unheimlich, weil du nicht bei uns bist. Vorhin meinte dein Papa zu mir, dass es ihn traurig macht weil er dich nie spüren konnte im gegensatz zu mir. Das fehlt ihm unheimlich. 

Hast du eigentlich deinen Solar Weihnachtselch schon entdeckt? Da wir deinen Schmetterling mit nach Hause genommen haben wollten wir dir wenigstens etwas Weihnachten zum Grab bringen. Es ist nicht viel.. aber lieber wenig als gar nichts. Wir fanden den Elch einfach am schönsten.

Jetzt hoffe ich nur, dass im Frühjahr der Friedhofbetreiber die Rosen unter denen du dein Bettchen hast zurück schneiden. Ich finde es ja toll, dass sie gewachsen sind. Aber ich will nicht, dass dein Erdenbettchen zu wuchert. Das wirkt dann lieblos und ungepflegt.

Weißt du... heute haben dein Papa und ich bei einem Film geweint. Der nennt sich "Den Himmel gibt es wirklich". Bei uns kam die Frage auf ob der Film nach einer Wahrengegebenheit ist... und ob es den Himmel wirklich gibt... ob es ein Leben nach dem Tod gibt... ob es wirklich so ist wie im Film? Allen geht es dort gut? Keiner hat Schmerzen?! Es würde uns trösten wenn wir wüssten, dass es den Himmel wirklich so gibt und es dir wirklich gut geht dort... und wir uns da dann irgendwann alle wieder sehen würden.

Wir lieben dich kleiner Sternenprinz von hier bis zu den Sternen und wieder zurück!

1000 Küsschen in den Himmel!

Mama und Papa

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